Zum sechsten Tag der Medienkompetenz am 28. November 2016 organisierten das Grimme-Forschungskolleg an der Universität zu Köln und Studierende der Ruhr-Universität Bochum unter Leitung von Prof. Dr. Sandra Aßmann ein Forum mit dem Titel „Die Medienwelt von morgen – Digitalisierung extrem?“.
Der Tag der Medienkompetenz ist eine Veranstaltung der Landesregierung und des Landtags Nordrhein-Westfalen und stellt aktuelle Themen der Medienkompetenzförderung vor zur Diskussion zwischen Bildungsinstitutionen, Mitgliedern des Landtags und Bürgerinnen und Bürgern.
Medienwissenschaftlerin Prof. Dr. Caja Thimm von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn eröffnete das Forum G mit einem Impulsvortrag über die allgemeine technologische Entwicklung und Zukunftstrends in der digitalen Gesellschaft. Im Anschluss präsentierten Studierende der Ruhr-Universität Bochum Zukunftsvisionen zum Thema „Wie leben und lernen wir mit Medien 2021 und 2031?“, die sie im Seminar „Medien extrem? Konsequenzen für die Gestaltung von Lernumgebungen“ unter Leitung von Prof. Dr. Sandra Aßmann entwickelten. Auf Basis wissenschaftlicher Studien wurden am Beispiel zweier fiktiver Charaktere, Max und Mia, mögliche Lebensweisen prognostiziert.
Für Max wurde ein Worst-Case-Szenario im Jahre 2021 entworfen; technische Neuerungen könnten zum Beispiel negative gesellschaftliche und soziale Konsequenzen wie erhöhten Stress und Druck durch digitale Medien haben, die im Leben zunehmend früher und massiver Einzug halten. Auch Effekte wie ein Anstieg der Computerkriminalität, Entpersonalisierung und fehlende Identifikation in der Schule sind denkbar. Ein fester Freundeskreis ist in Max´ Alltag ebenso wenig vorhanden wie Bewegung und Sport. Diese Entwicklung wurde weiter skizziert bis zum Worst Case-Szenario im Jahr 2031, in dem u. a. Roboter die Fähig- und Fertigkeiten von Menschen übertreffen, die Wirtschaft den Kompetenzerwerb steuert und ländliche Regionen den Anschluss verlieren. Dennoch entwickelt Max auch in dieser Lebenswelt Stärken wie etwa mehrere Tage ohne Schlaf durchzuhalten und er könnte beruflich z. B. bei der „Internetpolizei Düsseldorf GmbH“ im Home Office Karriere machen.
Dem gegenübergestellt ist Mia mit dem „Extrem-Positivszenario“, welches sowohl hinsichtlich Sozialisation, Bildung und Berufsleben, Effekte auf den Menschen (physisch und psychisch) und im privaten und sozialen Leben von neuer Technologie profitiert. Mia könnte etwa durch Förderung von Selbstbestimmung und individueller Kontrolle (Medienkompetenzen) sowie von Förderung durch Selbstdarstellung ein optimiertes und gut vernetztes Leben in der digitalen Gesellschaft führen, in dem sie steigendes Wohlbefinden aufgrund effizient genutzter Zeit durch Medien erfährt. Unterrichtsausfall könnte durch Online-Lerngruppen kompensiert werden, das Smartphone als nützlicher Terminplaner für Hausaufgaben etc. effektiv genutzt werden. Insgesamt wüsste Mia Medien sinnvoll und zu ihrem Vorteil zu nutzen. Im Jahr 2031 hätte sie das „Bildungsziel 2030: Selbstständigkeit“ erreicht und könnte mit der personalisierten Form des eLearnings z. B. an MOOCs (Massive Open Online Courses) teilnehmen, welche ihr sogar ermöglichen in Harvard Credit Points zu sammeln. Diese Kurse wären für jeden offen – unabhängig vom Bildungsgrad – und somit könnten sich mehr Leute weiterbilden. Insgesamt würde Mia dank ihrer guten Medienkompetenz über effektive Mobilgeräteverwaltung und ein hervorragendes Zeitmanagement verfügen.
Im Anschluss diskutierten die Forumsteilnehmer mit den Studierenden über die vorgestellten Szenarien und erhielten Hinweise auf weiterführende Literatur.
Prof. Dr. Caja Thimm eröffnete das Forum mit einem Impulsvortrag
Studierende der Ruhr-Universität Bochum diskutieren mit dem Publikum
Prof. Dr. Sandra Aßmann entwickelte mit Studierenden Zukunftsszenarien
Teilnehmerinnen des Seminars „Medien extrem? Konsequenzen für die Gestaltung von Lernumgebungen“ stellen Zukunftsvisonen vor
Festakt zur Gründung des Grimme-Forschungskollegs an der Universität zu Köln und Tagung „Mehr – Medien: Programm 2020“
Text: Lars Gräßer, Fotos: Georg Jorczyk
Nach der formalen Gründung des Grimme-Forschungskollegs an der Universität zu Köln im November 2014 erfolgte nun der feierliche Festakt zur Gründung am 7. November 2016 im Kölner Rhein-Energie-Stadion. So ungewöhnlich wie das Kolleg, war auch die Wahl des Ortes – mit Blick auf den grünen Rasen. Hier eröffnete sich Raum für Festreden und Glückwünsche, aber auch für Rückblicke auf die bisherige Zusammenarbeit von Grimme-Institut und Universität zu Köln (UzK) sowie Ausblicke auf die Zukunft der digitalen Medienwelt. Letzteres Ziel verfolgte dann gleich ganz praktisch die Fachtagung „Mehr – Medien: Programm 2020“, die im direkten Anschluss an den Festakt mit über hundert Teilnehmenden aus Politik, Wissenschaft und Medien stattfand.
Nachdem Grimme-Direktorin Dr. Frauke Gerlach in ihrer Begrüßung von dem komplexen Auswahl- und Gründungsprozess und der großen Bereitschaft der UzK, mit Grimme praxisorientiert zu forschen, berichtete, formulierte der Kanzler der UzK, Dr. Michael Stückradt, seine Zielvorstellung für den zwei Jahre alten „Neuling“: Impulse aus der Praxis aufnehmen, Dialoge anstoßen. Dabei verwies er auf die außergewöhnliche Form des Grimme-Forschungskollegs: „Das Grimme-Forschungskolleg an der Universität zu Köln ist kein An-Institut, es ist in der Form einer gemeinnützigen GmbH gegründet worden“, der Theorie-Praxis-Dialog erfolge somit auf Augenhöhe.
Franz-Josef Lersch-Mense fördert als Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen die Arbeit des Forschungskollegs und gehörte zu den weiteren Gratulanten. Mit Blick auf den aktuellen Transformationsprozess unserer Gesellschaft erklärte er: „Es ist oft vom Medienwandel die Rede. Die Digitalisierung verändert aber mehr als nur die Medien. Sie verändert unsere politische Kultur und die Gesellschaft – und vielleicht sogar jede und jeden von uns. Dieser Wandel scheint oft schnell und schneller zu gehen. Es bleibt kaum Zeit für den zweiten Blick, für Reflexion.“ Deshalb lautete sein Plädoyer und auch eine Zielvorstellung für das Grimme-Forschungskolleg: „Halten Sie immer wieder kurz inne. Lehnen Sie sich zurück. Und blicken Sie mit etwas mehr Abstand noch einmal auf die Dinge. So, wie es die Wissenschaft tut: Sie analysiert rational und methodisch Daten und Fakten. Das mag etwas dauern. Das mag anachronistisch erscheinen in Zeiten von sofort kommentierbaren Live-Streams. Ich glaube aber: Sorgfältige wissenschaftliche Analyse ist in diesen Zeiten digitaler Aufgeregtheit wichtiger geworden denn je.“ Und so freute er sich, dass man heute hier gemeinsam den Festakt zur Gründung des Grimme-Forschungskollegs an der Universität zu Köln feiern könne.
v.l.n.r.: Tabea Rößner, Prof. Dr. Karl-Eberhard Hain, Dr. Frauke Gerlach, Dr. Michael Stückradt, Franz-Josef Lersch-Mense
Dr. Frauke Gerlach, Direktorin des Grimme-Instituts und Geschäftsführerin des Grimme-Forschungskollegs an der Universität zu Köln
Dr. Michael Stückradt, Kanzler der Universität zu Köln und Vorsitzender der Gesellschafterversammlung des Grimme-Forschungskollegs
Franz-Josef Lersch-Mense, Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien des Landes Nordrhein-Westfalen und Chef der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen
Prof. Dr. Stephan Porombka, Universität der Künste Berlin
Prof. Dr. Stefan Grohé, Vorsitzender des Aufsichtsrats des Grimme-Forschungskollegs
Prof. Bascha Mika, Chefredakteurin Frankfurter Rundschau
Prof. Dr. Karl-Eberhard Hain, Direktor des Instituts für Medienrecht und Kommunikationsrecht der Universität zu Köln
Jan Böhmermann, Satiriker und Journalist
v.l.n.r.: Daniel Harrich, Friedrich Küppersbusch, Hans Hoff, Sophie Burkhardt, Jan Böhmermann
Dr. Norbert Himmler, Programmdirektor des ZDF, und Lutz Marmor, stellvertretender ARD Vorsitzender und Intendant des NDR
Das galt sicher auch für Prof. Dr. Stefan Grohé, Vorsitzender des Aufsichtsrats des Grimme-Forschungskollegs und Dekan der Philosophischen Fakultät der UzK, der zunächst die interdisziplinären Medienstudiengänge der Universität und die beteiligten vier Fakultäten in Bezug zur Arbeit im Grimme-Forschungskolleg vorstellte. So wurden in den ersten beiden Förderrunden 2015 und 2016 des Grimme-Forschungskollegs mit Hilfe der Landesmittel bereits 19 Projekte angestoßen. In den Projekten geht es um Themen wie Digitalisierung und Datenschutz in Zeiten von Big Data, Gaming als pädagogische Praxis, Kunst- und Medienpädagogik oder Medienkultur und Qualitätsbewertung durch Medienpreise. Deutlich wurde: Die zwei Jahre zwischen formeller Gründung und Festakt sind nicht ungenutzt verstrichen, Arbeit und Perspektive harmonieren.
Nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte auch der nachfolgende Gastredner Prof. Dr. Stephan Porombka, Universität der Künste, Berlin, sein Forschungsfreisemester und nahm die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit auf Erkundungen seines digitalen Alltags – streckenweise eine bildungsbürgerliche Comedy über den gesellschaftlichen Transformationsprozess und seine medialen Tücken. Immer wieder gab es Lacher.
Tagung #programm2020
Gemeinsam mit dem Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht der UzK veranstaltete das Forschungskolleg im direkten Anschluss an den Festakt die Tagung „Mehr – Medien: Programm 2020“. In drei von dem Medienkritiker und Journalisten Hans Hoff moderierten Gesprächsrunden wurde die Rolle und die Organisation der privaten wie öffentlich-rechtlichen Medien im crossmedialen Umfeld diskutiert. Dank des interaktiven Veranstaltungsformats „Fishbowl“ waren dabei – neben den Panelteilnehmerinnen und Panelteilnehmern – auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Tagung direkt in die Diskussion eingebunden.
Panel eins widmete sich unter dem Titel „Mehr – Wert 2020“ Legitimations- und Finanzierungsfragen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Prof. Dr. Johannes Münster, Direktor des Instituts für Rundfunkökonomie an der UzK, zeigte sich dabei überzeugt, dass eine rein marktliberale Organisation der Medien nicht funktionieren würde – ein Plädoyer für unser bestehendes System, dem Nebeneinander von Öffentlich-Rechtlichen und Privaten. Bascha Mika, Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau, outete sich zunächst als Fan von ARD und ZDF, was aber nicht bedeute, dass sie sich eine öffentliche-rechtlich finanzierte Zeitungslandschaft vorstellen könne. Gleichzeitig forderte sie: „Ich will teilhaben können, an Rechercheverbünden wie dem der Süddeutschen mit dem NDR und WDR!“ Neben Mika debattierten Thomas Wierny, Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht der UzK, und Prof. Dr. Otfried Jarren, IPMZ sowie Präsident der Eidgenössischen Medienkommission, schließlich intensiver darüber, ob und inwieweit die Öffentlich-Rechtlichen für die umfassende Information der Bevölkerung wichtig sind – unter anderem auch mit Blick auf Schweizer Erfahrungen – und welche Rolle Einschaltquoten dabei für die Erfüllung des verfassungsmäßigen Auftrags spielen.
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Bevor es auf Panel zwei um „Mehr – Inhalt 2020“ ging, drehte sich auch hier zunächst alles um Finanzierungsfragen – unter geänderten, weil digitalen Vorzeichen. Satiriker Jan Böhmermann erklärte: „Geld ist ja da, es versickert nur irgendwo“ bei den Öffentlich-Rechtlichen. In der Konsequenz hätten es ARD und ZDF versäumt, inhaltlich auf der Höhe der Zeit zu agieren, sehe man einmal von „jungen“ Angeboten wie FUNK ab, deren stellvertretende Chefredakteurin ebenfalls an der Diskussion teilnahm: „Momentan ist es nun an Leuten wie Sophie Burkhardt oder an meiner Crew und mir, diese Lücke von zwanzig Jahren zu überbrücken. Und das ist nicht nur eine technologische, sondern auch eine kulturelle Frage.“ Friedrich Küppersbusch, Journalist, Autor und Fernsehproduzent, sprach gar von einer regelrechten „Goldgräberstimmung“ in Anbetracht der vereinfachten Medienproduktions- und -distributionsmöglichkeiten der heutigen Zeit, die auch etablierte Medienmacher wie ihn nicht ganz unbeeindruckt ließen, während Grimme-Preisträger Daniel Harrich für das unerschrockene journalistische Arbeiten eintrat. Öffentlich-Rechtlich? „Für mich eine Frage der Haltung“, so Harrich, und das auch in Zukunft.
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In der abschließenden Gesprächsrunde mit dem NDR-Intendanten und stellvertretenden ARD-Vorsitzenden Lutz Marmor sowie ZDF-Programmdirektor Dr. Norbert Himmler sollte es um „Mehr – Verantwortung 2020“ gehen, jedoch waren auch hier zunächst die notwendigen Innovationen im Content-Bereich Thema – einschließlich der abgehängten jungen Generation, ausgehend von einem Tweet des wahrscheinlich jüngsten Tagungsteilnehmers – bis es schließlich am Ende doch um die gesellschaftliche Verantwortung der Medienakteure ging.
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