Im Rahmen eines vom Grimme-Forschungskollegs organisierten Stakeholder-Workshops am 20. Februar 2017 an der Universität zu Köln wurden Bedarfe, Erwartungen und Visionen aus Sicht einiger Stakeholder und Interessensvertreter aus dem Bildungs- und Ausbildungsbereich sowie aus der Perspektive von Unternehmen, der Kreativ- und Digitalwirtschaft formuliert und diskutiert. Im Zentrum standen dabei das Themenfeld „Internet und Bildung, Wissen, Kompetenz“ und die folgenden Leitfragen:
- Welche Herausforderungen und Themen in diesem Feld erwarten Sie für die Zukunft?
- Welche Erwartungen haben Sie an das CAIS bzw. an ein zukünftiges DII, das in diesem Themenfeld forscht?
- Welche Forschungsfelder sind für Sie besonders relevant?
- Wie und in welcher Form erreichen Sie Forschungsergebnisse am besten (Wissenstransfer)?
Die Diskussion über diese Leitfragen erfolgte mithilfe von Thesen in einer moderierten Diskussion.
Die folgende Dokumentation des Workshops gibt es hier als PDF zum Download.
DOKUMENTATION UND ERGEBNISSE
Teilnehmer*innen:
Maike Altenrath, Universität zu Köln; Prof. Dr. Michael Baurmann, CAIS; Prof. Dr. Sandra Aßmann, Universität Bochum; Monika Elias, Grimme-Institut; Dr. Harald Gapski, Grimme-Institut; Dr. Frauke Gerlach, Grimme-Institut, Grimme-Forschungskolleg; Prof. Dr. Kai Hugger, Universität zu Köln; Martin Lorber, EA; Christoph Meier, IHK Köln; Mario Salentin, IHK Köln; Stefan Will, Deutscher Volkshochschul-Verband e. V.
Moderation: Oliver Märker, Zebralog
Protokoll: Iris Volg, Zebralog
Inhalt
1. Kontext und Ziele des Workshops
2. Herausforderungen und Bedarfe
Digitalisierung der (Aus-/Weiter-)Bildung
Kommunikation und Medienkompetenz
Veränderungen in der Arbeitswelt und im gesellschaftlichen Zusammenleben
Zukunftsforschung
Beteiligungsfenster und Kooperationsmöglichkeiten
Formate
Netzwerke aufbauen – Praxis und Wissenschaft zusammenbringen
1. Kontext und Ziele des Workshops
Der Stakeholder-Workshop sollte dazu dienen, im Bereich „Bildung, Wissen, Kompetenz“ weitere Anregungen für den Antrag des NRW-Konsortiums zu liefern (vgl. Hintergrund). Außerdem sollen die Ergebnisse des Workshops in den Aufbau des im Zusammenhang mit der BMBF-Ausschreibung gegründeten Forschungskollegs „Center for Advanced Internet Studies“ (CAIS) einfließen. Das CAIS hat sich zum Ziel gesetzt „an der verantwortlichen Gestaltung des durch die Digitalisierung ausgelösten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Wandels aktiv mitzuwirken und den Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu fördern“ (www.cais.nrw).
2. Herausforderungen und Bedarfe
Im ersten Teil des Stakeholder-Workshops diskutierten die Teilnehmenden die zukünftigen (kurz-, mittel- und langfristigen) Herausforderungen in verschiedenen Bildungsbereichen und welche Erwartungen an die Forschung, Bedarfe und Fragen sich daraus ergeben.
Digitalisierung der (Aus-/Weiter-)Bildung
Eine zentrale Herausforderung im Bildungsbereich ergibt sich für die Teilnehmenden daraus, dass sich (Aus-/Weiter-) Bildung und Lehre einerseits selbst in Formen und Methoden durch die Digitalisierung verändert (bzw. verändern muss), sich andererseits aber auch auf die sich aus der Digitalisierung ergebenden neuen Anforderungen an die zu vermittelnden Kompetenzen und Inhalte einstellen muss.
Herausforderungen
Große Bedeutung der Aus- und Weiterbildung, um Teilhabe zu sichern und alle Menschen „mitzunehmen“, allerdings Zusammenhang zwischen (methodischer) Digitalisierung der Bildung und Bildungsauftrag (Digitalisierung der Gesellschaft) nicht beantwortet
- Mangel an Kompetenzen bei „Leadern“ in Politik und Gesellschaft, großer Weiterbildungsbedarf in Verwaltungen, besonders auch auf kommunaler Ebene
- Nur wenn Kompetenzen bei den Verantwortlichen vorhanden sind und damit auch Motivation, werden digitale Tools, Methoden etc. eingesetzt und Digitalisierung aktiv gestaltet
Fragen und Bedarfe
- Zentrale Fragestellung ist, inwieweit die Bildung sich selbst einer Digitalisierung unterziehen muss, um auf die Herausforderungen der Digitalisierung Antworten liefern zu können – welche Zusammenhänge gibt es hier (nicht)?
- „Internetweisen“, die die Politik beraten und Entwicklung eines digitalen Leaderships unterstützen
- Kommunen beraten
Herausforderungen
- Durchreguliertes Bildungssystem trifft auf hochdynamische Digitalisierung, als Reaktion werden neue Regeln aufgestellt; stattdessen wären mehr Flexibilität und Freiräume sowie emanzipierte Pädagog*innen notwendig
- Digitalisierung ist für Schulen nur ein Problem unter vielen, hat daher nicht unbedingt Priorität bei den Verantwortlichen
- Widerspruch zwischen klassischen ganzheitlichen Bildungszielen (offen) und zweckorientierter Ausbildung angesichts schneller und oft nicht vorhersehbarer Entwicklungen
Fragen und Bedarfe
- Wie wollen wir Schule zukünftig gestalten?
- Wie lässt sich im Bildungssystem der digitale Wandel an die „Basis“ transportieren?
- Wird durch die Digitalisierung ein neues Leitbild für die Erziehung notwendig oder gewinnen die klassischen humanistischen Bildungsziele gar an Bedeutung?
Herausforderungen
- Vorrausschauend weiterbilden (Digitalisierungsprozesse müssen frühzeitig erkannt werden)
- Veränderung von Lehre, Notwendigkeit digitale Metakompetenzen im Fachunterricht mit zu vermitteln, Face-to-Face Unterricht ist weiter von Bedeutung aber kann in erweiterte Lernwelten eingebettet werden (Kombination von digitalen Mitteln und Präsenzunterricht)
- Thema lässt sich nicht rein analog vermitteln, aber pädagogische Methoden müssen auf Zielgruppe und Vorkenntnisse abgestimmt sein
- Neue Möglichkeiten durch Angebote wie E-Learning-Plattformen können Lehrende entlasten und Ressourcen für z. B. Binnendifferenzierung freisetzen; Möglichkeiten werden aber nicht genutzt, Konzepte fehlen
Fragen und Bedarfe
- Wie viel Digitalisierung der Bildung ist sinnvoll und notwendig? In welchen Bereichen lassen sich digitale Mittel sinnvoll als Ergänzung oder auch Ersatz einsetzen?
- Welche Auswirkungen hat Big Data auf Lern- und Lehrprozesse?
Kommunikation und Medienkompetenz
Herausforderungen für den Bildungsbereich ergeben sich auch aus den durch die Digitalisierung verursachten Veränderungen in Kommunikationsweisen und -prozessen. Daher wurde als ein zentraler Bildungsinhalt die Förderung der Medienkompetenz diskutiert.
Herausforderungen
- Herausforderungen in der Kommunikation für Sender*innen und Empfänger*innen durch Informationsflut im Internet und gleichzeitigem Verlust klassischer Gatekeeper aufgrund der hohen Wirkungsmacht sozialer Medien, einhergehend mit einem Bedeutungsverlust des Journalismus als Vermittler
- Probleme der Einordnung und Bewertung von Information für Empfänger*innen (Stichwort Fake News)
- Problem der Filterblasen
- Probleme, besonders für kleinere Akteure z. B. Kommunen, Informationen einzubetten und aufzubereiten sowie Kommunikation aktiv zu gestalten (gegen „Übermacht des Internets“)
Fragen und Bedarfe
- Wie lassen sich Offline- und Online-Prozesse in der Kommunikation und sozialen Interaktion verknüpfen und einbetten?
- Wie lassen sich Ergebnisse zu Gruppendynamiken und Radikalisierung auf das Internet (Stichwort Trolle) übertragen und wie lassen sich daraus Methoden oder Strukturen entwickeln, um solchen Entwicklungen gegenzusteuern?
- Entwicklung von Mechanismen zu Beurteilung von Fake News
Herausforderungen
- Lehrpläne und pädagogische Konzepte sind nicht ausgerichtet auf die Vermittlung von Medienkompetenz
- In der Schule besteht eine große Kluft zwischen Unterrichtsinhalten und Nutzungsverhalten in der Freizeit
- Auszubildende und Angestellte nutzen soziale Medien zwar privat, aber Kompetenzen werden nicht auf den beruflichen Bereich transferiert
- Leitbild/Konzept für den Einsatz von digitalen Medien fehlt häufig („planlose“ Anschaffung von Geräten)
- Weniger Vermittlung von technischem Wissen als von Werten und der Fähigkeit zur Selbstregulierung nötig
Fragen und Bedarfe
- Im Hinblick auf Medienkompetenz neue Formen der politischen Bildung entwickeln
Veränderungen in der Arbeitswelt und im gesellschaftlichen Zusammenleben
Die Herausforderungen im Bildungsbereich stehen in engem Zusammenhang mit den durch die Digitalisierung ausgelösten Veränderungsprozessen und Umbrüchen in Arbeitswelt und Gesellschaft, da sich hieraus neue Bildungs- und Beratungsbedarfe ergeben.
Herausforderungen
- Industrie 4.0: Digitaler Wandel erfordert neuen Typus Arbeiter*in (ungelernte Arbeiter*innen verlieren komplett an Bedeutung) mit anderem Wissen, anderen kognitiven Fähigkeiten, aber auch anderen sozialen Kompetenzen
o höhere Vernetzung durch stärkeres Ineinandergreifen der Maschinen
o höhere Verantwortung und Notwendigkeit in größeren Zusammenhängen zu denken - Algorithmen können Routinetätigkeiten übernehmen (z. B. in der Verwaltung), wodurch Mitarbeiter-Ressourcen für andere Tätigkeiten frei werden. Dies erfordert jedoch Umstrukturierung von Arbeitsprozessen und entsprechende Weiterbildung der Mitarbeiter*innen für neue Aufgaben.
Fragen und Bedarfe
- Wie verändern sich Arbeitsfelder und -aufgaben?
- Welche Umstrukturierungen sind nötig?
- Change Management
- Welche sozialen und psychologischen Auswirkungen haben die im Zusammenhang mit der Industrie 4.0 stehenden Veränderungen auf die Arbeiter*innen?
Herausforderungen
- Umgang mit digitalen Medien und im Internet ist nicht sozial normiert
- Veränderung von bestehenden sozialen Normen
- Bewältigung der technischen Entwicklung als Mensch (Rolle in der Gesellschaft, Selbstbild, Verhältnis Mensch – digitale Geräte, Konstruktion von Wirklichkeiten), Umgang mit Unsicherheiten in Zeiten des Umbruchs
Fragen und Bedarfe
- Welche Auswirkungen hat die durch digitale Mittel ausgeweitete Konstruktion von Wirklichkeit auf die Gesellschaft?
Zukunftsforschung
Über alle Themengebiete und Problemfelder hinweg zeigt sich ein hoher Bedarf der Praxis an Szenarien und Prognosen. Um auf die Herausforderungen im Bildungssektor reagieren zu können, wurde von den Stakeholdern die Erwartung an die Wissenschaft formuliert Veränderungsprozesse aufzuzeigen und Szenarien zu entwickeln, beispielsweise zum Wandel der Arbeitswelt. Dafür müsse die Wissenschaft Entscheidungsträger*innen zeitnah auch Grundannahmen zur Verfügung stellen und generell neue Formen finden, Wissen, ggf. auch vorläufiges, zu vermitteln. Auch die Bedeutung einer engen Zusammenarbeit mit der Praxis wurde unterstrichen.
Dies stellt die Wissenschaft insofern vor Herausforderungen, als in den meisten Fachrichtungen die Entwicklung von Szenarien keine gängige Arbeitsweise ist. Hierfür sei eine andere Art des Denkens und ein anderes Selbstverständnis von Wissenschaft notwendig. Es wurde die Frage diskutiert, inwieweit Wissenschaft in Zukunft nicht nur auf Entwicklungen reagieren, sondern eventuell auch Forderungen stellen soll. Die hohe Geschwindigkeit der Entwicklungen und die hohe Komplexität und Vielfältigkeit des Forschungsgegenstands erschweren jedoch oftmals schon das zeitnahe Reagieren und erfordern zudem ein sehr kleinteiliges Vorgehen sowie eine trans- und interdisziplinäre Zusammenarbeit.
3. Wissenskommunikation
Im zweiten Teil der Veranstaltung stand die Frage nach der Gestaltung des Theorie-Praxis-Dialogs in der Internetforschung im Mittelpunkt. Diskutiert wurde, wo im Forschungsprozess Austausch und Zusammenarbeit möglich und nötig ist, welche Formate dafür geeignet sind und wie Kooperationspartner aus Wissenschaft und Praxis zusammengebracht werden können.
Beteiligungsfenster und Kooperationsmöglichkeiten
Zunächst stellte sich die Frage an welchen Punkten und in welchen Bereichen Praktiker*innen in die Forschung miteinbezogen werden können und wo die Wissenschaft aus der Praxis lernen kann. Hierbei wurden die folgenden wichtigen Punkte festgehalten:
- Wichtig ist ein beidseitiger Austausch, Wissenschaft muss auch Zuhörer sein (Wissenskommunikation im Unterschied zur Wissenschaftskommunikation)
- Praxis kann Kompetenzen und Wissen vermitteln (Bsp. Gamification für Online-Partizipation)
- Partizipation ist in der Grundlagenforschung schwierig, in der Praxis- und Implementationsforschung ist Beteiligung hingegen möglich/nötig
- Gespräch mit der Praxis suchen als Inspirationsquelle für Forschungsideen
- Möglicherweise lassen sich Forschungsfragen durch „Markt-/ Zielgruppenforschung“ entwickeln?
- Erste Erfahrungen mit einer sehr frühen Einbindung der Praxis bereits zum Zeitpunkt der Schwerpunktsetzung und Entwicklung des Forschungsdesign, Erfahrungen aus der Praxis können schon in die Antragsstellung mit einfließen
- Forschungsvorschläge für Bachelor- und Masterarbeiten können aus der Praxis kommen
Formate
Die Teilnehmer*innen tauschten sich darüber aus, über welche Kommunikationskanäle Praktiker*innen erreicht werden können und wie komplexe Forschungsinhalte für die Anwendung in der Praxis aufbereitet werden müssen.
- Für die Praxis ist Geschwindigkeit der Forschung in Bezug auf Grundannahmen wichtig, was für die Wissenschaft bedeutet vermehrt mit Thesen zu arbeiten und auch Zwischenergebnisse zu kommunizieren (Aufbau einer „Beta-Kultur“)
- Interesse an einer Sammlung von Ergebnissen aus einzelnen Forschungsprojekten, um Gesamtszenarien aufzuzeigen
- Interesse am Format eines Forschungskollegs wie dem CAIS, im Falle der VHS könnte es z. B. eine „Heimat“ für die Community der im Bereich der Digitalisierung engagierten Lehrer*innen und Mitarbeiter*innen bieten
- Kontakt zwischen Wissenschaft und Gesellschaft erfordert Experimentierfreudigkeit, diverse Vorschläge:
o Format des Erklärvideos („Sendung-mit-der-Maus-Prinzip“); müssen Forscher*innen „Entertainer-Qualitäten“ haben?
o Blog, Tweets des Tages o.ä. mit Informationen über Arbeit und Ideen zum Abonnieren für Praktiker*innen; stellt auch Transparenz her
o Partizipation in der Generierung von Forschungsfragen über Panel oder Abstimmungs-App
Netzwerke aufbauen – Praxis und Wissenschaft zusammenbringen
Auf beiden Seiten besteht ein großes Interesse an Kooperation, als Herausforderung kristallisierte sich hierbei heraus, geeignete Wege zu finden, um Praktiker*innen und Wissenschaftler*innen für gemeinsame Projekte zusammenzubringen. Wie finden Forscher*innen Spezialist*innen aus der Praxis und wie erfahren Praktiker*innen von Forschungsprojekten in ihrem Expertisegebiet?
- Citizen Science erweitern
- Erste Ansätze eine Datenbank zu entwickeln, die Expert*innen aus Praxis/ Gesellschaft/Wirtschaft sammelt
- Matching-Plattform als Weg, um Praktiker und Wissenschaftler zusammenzubringen?
- Wunsch nach Ansprechpartnern vor Ort, „Bürgersprechstunde“ der Forschung?
- Wichtig Zusammenarbeit zu institutionalisieren, um Rahmen zu schaffen, der Kontinuität sichert
- Auch Kooperation im Bereich von Bachelor- und Masterarbeiten macht Aufbau eines Netzwerks erforderlich